Reisebericht 2011
Comarapa, 24.10.2011
Am 17. Oktober abends komme ich in Santa Cruz an, samt Gepäck und Übergepäck, etwas müde noch von den 30 Stunden am "Weg", doch zufrieden und gespannt auf die Neuigkeiten. "Mein Taxi" ist natürlich noch nicht da – ich muss mich wieder an die bolivianische Uhr gewöhnen ...
Ich stehe mit meinen zwei schweren Koffern und den beiden kleinen (Handgepäck) am Flughafen ... wie bestellt und nicht abgeholt ... Im Parterre gibt es kein Telefon ... ich kann die Dinger unmöglich in den ersten Stock tragen. Doch da kommt er und entschuldigt sich mit allen möglichen Ausreden weil er mich kennt und weiss, dass ich das eigenlich gar nicht mag. Ich bin froh, endlich in meine Unterkunft zu kommen, wo ich herzlich empfangen werde, da sie mich dort ja auch schon seit 10 Jahren kennen.
Am Dienstag bin ich bereits im Krankenhaus "Villa 1ero de Mayo", wo wir einige "Fälle" besprechen und ein bisschen über die Neuigkeiten hier reden - auch über die wieder ausgebrochene Vogelgrippe H1V1. Man musste 10 Tage die Schulen schliessen, doch jetzt sei fast alles wieder vorbei. Ich habe vorsorglich Tamniflu mitgenommen und hoffe, dass ich es nicht brauche. Mit dem neuen, letztes Jahr eingeweihten Sauerstoffgenerator sind sie sehr zufrieden - es sei "ein Segen" für alle. So geht der Tag mit Reden und Konsultationen vorbei … wir werden uns am Donnerstag wieder treffen.
Am Mittwoch, den 19. Oktober bin ich mit Hna. Maria Rosa im "colegio", am Bau für die Frauenberufsschule zur Baubesichtigung. Dies ist ein grosses Gebäude, gut eingegliedert in die bestehenden Bauten der Schulen. 1300 Kinder und Jugendliche gehen täglich dort ein und aus. Der Bau geht gut voran und sollte bereits in zwei Monaten bezugsfertig sein. Wenn man die bolivianische Uhr mit einberechnet, könnte das durchaus schon im Jänner 2012 sein ... Der integrierte "comedor" ist inzwischen für 400 Kinder vorgesehen. Dazu hatte Hna Maria Rosa einen Probelauf für ein Monat gestartet. Diese Probe hat bestanden. Dann noch ein Kurzbesuch in den Klassen mit meist 40 bis 50 Kindern in den Räumen, einige Kinder noch mit Mundmasken. Die Kleinen wundern sich immer wieder über meine helle Haut ... Wir besuchen auch die guarderia, die etwas weiter weg liegt. Die Strasse dorthin ist "neu", etwas weniger holprig ... Dort steht die Erneuerung des Daches an, welches unter der Hitze und dem Regen schwer gelitten hat.
Nach einem guten Mittagessen und einer kleinen Siesta - ich bin noch nicht ganz umgestellt - geht es in das "colegio" zum grossen Empfang. Bereits von Weitem hört man Lautsprecher, Musik und immer wieder ein lautes Pfeifen von den Mikrofonen. Es haben sich bereits mehr als 1000 Kinder und Jugendliche versammelt. Dann geht es los mit – allerdings kurzen - Ansprachen, Musik und Tänzen. Alle Klassen haben etwas vorbereitet, angefangen von den Kleinsten, bis hin zu den Grossen, die bereits professionell vortanzen. Natürlich gibt es auch Geschenke und Dankesworte und immer wieder Umarmungen bei der Übergabe. Ich sitze in der ersten Reihe neben Politikern, Direktoren und Klassenvoständen ... mir ist der ganze "Auflauf" immer sehr peinlich, doch auch daran habe ich mich gewöhnen müssen … Als ich dies letztes Jahr anbringen wollte, haben mich alle mit grossen Augen und auch ein bisschen beleidigt angeschaut. Sie bereiten sich alle mit grosser Freude vor und es ist für alle auch eine Abwechslung in dem oft so tristen Schulalltag. Die Feier dauert bis in die Nacht hinein, anschliessend noch mit "sidre" und selbstgemachten Häppchen, gemeinsam mit den Professoren - natürlich sind noch einige Kinder da, die darauf warten, dass etwas übrig bleibt. Alle sind sehr herzlich, erzählen nebenbei von ihrem Leben und sind sehr zufrieden mit dem heutigen Tag. Ich denke bereits an neue Projekte: es kommen dort immer wieder Unfälle und Verletzungen vor - auch "kleinere" Dinge wie Zahnschmerzen, Kopfschmerzen oder Infektionen sind an der Tagesordnung. Es gibt aber in dem ganzen "Schulgebäude" und auch in der Umgebung keine Möglichkeit einer medizinischen Erstversorgung, geschweige denn eine Rettung. Wir werden diese Einrichtung in einem der Schulgebäude unterbringen, eine "enfermeria". Ich habe darüber nur mit Hna. Rosa Maria geredet.
Ein Besuch bei Nachbarn nahe der Schule holt mich wieder zurück in die brutale Realität! In einem Blechverlies wohnen neben Enten, Schweinen und Hühnern insgesamt 12 Menschen, zusammengepfercht wie auf einer Müllhalde, der Geruch nicht anders als dort … menschenunwürdig. Sieben der Kinder und Jugendlichen dieser Familie sind im colegio, die anderen "arbeiten". Heuer im Juli ist dann etwas Schreckliches passiert: beim gemeinsamen Kochen mit einer Nachbarin, die angeblich geistesgestört war, hat diese plötzlich mit dem Küchenmesser auf die Mutter eingestochen und sie mit mehreren Stichen getötet - der herbeigelaufene Vater ersticht darauf mit demselben Messer die "Geistesgestörte".
Ich habe heute etwas unruhig geschlafen, bin schon früh wach und mache mich bald auf den Weg ins Krankenhaus. Mittags bin ich bei Frau Nina zum Essen eingeladen, einer Frau vom Rotaryclub. Sie hat hier letztes Jahr das Projekt mit dem Sauerstoffgenerator abgewickelt. Wir haben wieder Einiges zu besprechen.
An dieser Stelle möchte ich mich bei Allen die meine Seiten und Berichte verfolgen und mich unterstützen, ganz herzlich bedanken.
Mit herzlichen Grüssen aus Santa Cruz, Bolivien,
Ihr Bernhard Spechtenhauser