Reisebericht 2011

Comarapa, 24.10.2011

Am 17. Oktober abends komme ich in Santa Cruz an, samt Gepäck und Übergepäck, etwas müde noch von den 30 Stunden am "Weg", doch zufrieden und gespannt auf die Neuigkeiten. "Mein Taxi" ist natürlich noch nicht da – ich muss mich wieder an die bolivianische Uhr gewöhnen ...
Ich stehe mit meinen zwei schweren Koffern und den beiden kleinen (Handgepäck) am Flughafen ... wie bestellt und nicht abgeholt ... Im Parterre gibt es kein Telefon ... ich kann die Dinger unmöglich in den ersten Stock tragen. Doch da kommt er und entschuldigt sich mit allen möglichen Ausreden weil er mich kennt und weiss, dass ich das eigenlich gar nicht mag. Ich bin froh, endlich in meine Unterkunft zu kommen, wo ich herzlich empfangen werde, da sie mich dort ja auch schon seit 10 Jahren kennen.

Am Dienstag bin ich bereits im Krankenhaus "Villa 1ero de Mayo", wo wir einige "Fälle" besprechen und ein bisschen über die Neuigkeiten hier reden - auch über die wieder ausgebrochene Vogelgrippe H1V1. Man musste 10 Tage die Schulen schliessen, doch jetzt sei fast alles wieder vorbei. Ich habe vorsorglich Tamniflu mitgenommen und hoffe, dass ich es nicht brauche. Mit dem neuen, letztes Jahr eingeweihten Sauerstoffgenerator sind sie sehr zufrieden - es sei "ein Segen" für alle. So geht der Tag mit Reden und Konsultationen vorbei … wir werden uns am Donnerstag wieder treffen.

Am Mittwoch, den 19. Oktober bin ich mit Hna. Maria Rosa im "colegio", am Bau für die Frauenberufsschule zur Baubesichtigung. Dies ist ein grosses Gebäude, gut eingegliedert in die bestehenden Bauten der Schulen. 1300 Kinder und Jugendliche gehen täglich dort ein und aus. Der Bau geht gut voran und sollte bereits in zwei Monaten bezugsfertig sein. Wenn man die bolivianische Uhr mit einberechnet, könnte das durchaus schon im Jänner 2012 sein ... Der integrierte "comedor" ist inzwischen für 400 Kinder vorgesehen. Dazu hatte Hna Maria Rosa einen Probelauf für ein Monat gestartet. Diese Probe hat bestanden. Dann noch ein Kurzbesuch in den Klassen mit meist 40 bis 50 Kindern in den Räumen, einige Kinder noch mit Mundmasken. Die Kleinen wundern sich immer wieder über meine helle Haut ... Wir besuchen auch die guarderia, die etwas weiter weg liegt. Die Strasse dorthin ist "neu", etwas weniger holprig ... Dort steht die Erneuerung des Daches an, welches unter der Hitze und dem Regen schwer gelitten hat.
Nach einem guten Mittagessen und einer kleinen Siesta - ich bin noch nicht ganz umgestellt - geht es in das "colegio" zum grossen Empfang. Bereits von Weitem hört man Lautsprecher, Musik und immer wieder ein lautes Pfeifen von den Mikrofonen. Es haben sich bereits mehr als 1000 Kinder und Jugendliche versammelt. Dann geht es los mit – allerdings kurzen - Ansprachen, Musik und Tänzen. Alle Klassen haben etwas vorbereitet, angefangen von den Kleinsten, bis hin zu den Grossen, die bereits professionell vortanzen. Natürlich gibt es auch Geschenke und Dankesworte und immer wieder Umarmungen bei der Übergabe. Ich sitze in der ersten Reihe neben Politikern, Direktoren und Klassenvoständen ... mir ist der ganze "Auflauf" immer sehr peinlich, doch auch daran habe ich mich gewöhnen müssen … Als ich dies letztes Jahr anbringen wollte, haben mich alle mit grossen Augen und auch ein bisschen beleidigt angeschaut. Sie bereiten sich alle mit grosser Freude vor und es ist für alle auch eine Abwechslung in dem oft so tristen Schulalltag. Die Feier dauert bis in die Nacht hinein, anschliessend noch mit "sidre" und selbstgemachten Häppchen, gemeinsam mit den Professoren - natürlich sind noch einige Kinder da, die darauf warten, dass etwas übrig bleibt. Alle sind sehr herzlich, erzählen nebenbei von ihrem Leben und sind sehr zufrieden mit dem heutigen Tag. Ich denke bereits an neue Projekte: es kommen dort immer wieder Unfälle und Verletzungen vor - auch "kleinere" Dinge wie Zahnschmerzen, Kopfschmerzen oder Infektionen sind an der Tagesordnung. Es gibt aber in dem ganzen "Schulgebäude" und auch in der Umgebung keine Möglichkeit einer medizinischen Erstversorgung, geschweige denn eine Rettung. Wir werden diese Einrichtung in einem der Schulgebäude unterbringen, eine "enfermeria". Ich habe darüber nur mit Hna. Rosa Maria geredet.

Ein Besuch bei Nachbarn nahe der Schule holt mich wieder zurück in die brutale Realität! In einem Blechverlies wohnen neben Enten, Schweinen und Hühnern insgesamt 12 Menschen, zusammengepfercht wie auf einer Müllhalde, der Geruch nicht anders als dort … menschenunwürdig. Sieben der Kinder und Jugendlichen dieser Familie sind im colegio, die anderen "arbeiten". Heuer im Juli ist dann etwas Schreckliches passiert: beim gemeinsamen Kochen mit einer Nachbarin, die angeblich geistesgestört war, hat diese plötzlich mit dem Küchenmesser auf die Mutter eingestochen und sie mit mehreren Stichen getötet - der herbeigelaufene Vater ersticht darauf mit demselben Messer die "Geistesgestörte".

Ich habe heute etwas unruhig geschlafen, bin schon früh wach und mache mich bald auf den Weg ins Krankenhaus. Mittags bin ich bei Frau Nina zum Essen eingeladen, einer Frau vom Rotaryclub. Sie hat hier letztes Jahr das Projekt mit dem Sauerstoffgenerator abgewickelt. Wir haben wieder Einiges zu besprechen.

An dieser Stelle möchte ich mich bei Allen die meine Seiten und Berichte verfolgen und mich unterstützen, ganz herzlich bedanken.

Mit herzlichen Grüssen aus Santa Cruz, Bolivien,
Ihr Bernhard Spechtenhauser

26.10.2011

Die Tage in Santa Cruz verlaufen schnell. Am Freitag bin ich im Krankenhaus Villa 1ero de Mayo,
bei Dr. Menacho und Directora Mari Luz. Es geht vor allem um den – letztes Jahr eingeweihten - Sauerstoffgenerator. Es funktioniert - nach anfänglichen Startproblemen - alles gut, eine Computerautomatik zur Regelung des Bedarfes ist neu hinzugekommen.
Als Nächstes planen wir ein Programm zur Vorsorge des Brustkrebses. Die Frauen kommen meist erst in einem sehr fortgeschrittenen Stadium. Ziel ist die Früherkennung des Krebses vor allem durch die Sensibilisierung der Frauen, die auch eine finanzielle Unterstützung erhalten sollen. Die Frauen kommen meist deshalb erst so spät zum Arzt, weil sie sich die Behandlung nicht leisten können. Bei Früherkennung und sofortiger Therapie ist diese Erkrankung in vielen Fällen heilbar. Ein weiteres Projekt ist eine Krankenpflegeschule mit dem Krankenhaus. Da gibt es aber noch viel zu besprechen. Am Samstag kommen im Stundentakt einige Familien zu mir - die meisten kenne ich bereits seit einigen Jahren. Sie erzählen mir von ihrem Leben, Erfreuliches und weniger Erfreuliches. Die Schwester von Reinaldo, gerade erst 17 Jahre, hat wieder ein Kind bekommen, dieses ist jetzt 6 Monate .... Ich bespreche dann noch mit Yolanda, die mich in Cochabamba erwartet, das dortige Programm. Dann geht wieder ein Tag dem Ende zu.

Samstag ist mein freier Tag, ich fahre nämlich nach Comarapa. Das Taxi kommt pünktlich um 9.30 Uhr. Es ist sehr heiß und wenn da die Fenster vom Taxi alle nicht schliessen ist das kein Problem. Nach ein paar Stunden komme ich in Samaipata an. Es ist bereits Tradition, dass ich dort im Café Latina zukehre und zu Mittag esse. Ein "feines" Lokal, sehr gemütlich - das Essen ist wieder vorzüglich. Ich habe mich schon die ganze Woche darauf gefreut! Es geht weiter nach Comarapa, wo ich um 18.30 Uhr ankomme. Die Schwestern empfangen mich herzlich. Ich bin sehr müde und falle wie ein Stein ins Bett.

Am Montag, den 24.10.2011, habe ich bereits am Morgen die ersten Patienten, die für die Operationen vorbereitet werden müssen. Es geht kurz in die guarderia. Die Anzahl der Kinder hat wieder zugenommen. Es funktioniert gut, wenn auch hier und dort wieder etwas zu investieren ist.
Um 14.00 Uhr sollte Ronald ins Krankenhaus kommen - ein junger Mann, der vor einem Jahr einen Unfall mit dem Motorrad hatte und jetzt querschnittgelähmt ist. Anfangs denke ich mir, dass ich da nicht viel werde machen können. Ich warte in dem consultorio und wie vorhersehbar: es kommt niemand. Hna. Elisabeth, die OP-Schwester, gibt aber nicht auf. Ich fahre mit ihr mit dem roten Käfer zu ihm nach Hause. Dort ist aber niemand - auch die Nachbarn wissen nicht, wo er ist. Seine Frau arbeitet, die zweijährige Tochter ist in "meiner" guarderia. Es gelingt uns dann aber doch, Ronald ausfindig zu machen. Er wohnt nun ein Haus weiter. Er lässt uns eintreten. Auf die Frage, warum er nicht gekommen sei schüttelt er nur so den Kopf und sagt, dass er niemanden hatte, der ihn ins Krankenhaus hätte bringen können. Ich bin ein bisschen beschämt. Er liegt da in seinem Bett in einer finsteren Ecke, daneben ein Topf mit dem Mittagessen neben Abfallkübeln, daneben der Blasenkatheter ...., Lehmboden, Blechdach ... Er erzählt von dem Unfall und vor allem, dass er danach erst fast einen Tag darauf im Krankenhaus in Cochabamba war und operiert wurde. Er hatte sich einen Wirbelbruch auf Brusthöhe zugezogen und ist vom Nabel abwärts gelähmt.
Bei der genaueren Untersuchung sehe ich jedoch - ich als Nicht-Neurologe - dass da doch noch Einiges an Funktion an den Beinen vorhanden ist. Er kann die Zehen ein bisschen bewegen, er spürt etwas an beiden Beinen und er hat vor allem keinen Spasmus und keine Kontrakturen, was ja nach einem Jahr bei einem kompletten Querschnitt "normal" wäre. Aber, ich kenne mich da ja nicht so gut aus. Da fällt mir natürlich mein "Joker" ein: Ich rufe "meine" Katrin daheim an - sie ist Neurologin und kennt sich da gut aus. Sie gibt mir noch ein paar Anweisungen zur näheren Differenzierung und gibt sich sehr hoffnungsvoll. Mit einer konsequenten Physiotherapie kann man sicher noch viel verbessern. Sie glaubt sogar, dass er dann vielleicht wieder gehen kann ... Da kommt aber das nächste Problem. Seine Frau muss arbeiten und er kann nicht alleine zur Physiotherapie. Ich organisiere für ihn einen Heimplatz, so etwas wie eine "Rehab" bei uns in Bad Häring .... Die Therapeutin macht mir einen guten Eindruck. Doch da hat Ronald noch Bedenken: " Wenn ich ein paar Wochen nicht daheim bin, läuft mir meine Frau davon ..., ich habe grosse Angst." Es gelingt mir dann letztendlich doch, ihn von der Wichtigkeit der Therapie zu überzeugen und er wird bereits diese Woche in der "albergue" in Comarapa die Therapie beginnen.

Nach dem Besuch bei Ronald bin ich in der "albergue", einer Art Altersheim - ein schöner Bau, eingegliedert die Physiotherapie, die wir mitfinanziert haben. Die Frauen haben gerade eine "riunion", sie empfangen mich mit grosser Freude. Die Sitzung läuft sehr professionell ab, dann gibt es wieder "pollo" … ich habe mich aber vom Huhn noch nicht abgegessen ...

25.10.2011

Es stehen Operationen im Krankenhaus an – für mich wieder eine Herausforderung: grosse Instrumente, nur lokale Betäubung, kaum Licht, heiß … Ob das gut geht? Es geht erstaunlich gut, ich bin zufrieden. Am Nachmittag ist dann ein Besuch in Torrecillas geplant - ein Dorf etwas ausserhalb von Comarapa. Wir haben dort für eine Familie ein Haus gebaut. Es ist gut gelungen. Die Familie ist überglücklich. Ich bekomme wieder einen selbstgemachten Teppich ...
Am Abend kommen wieder andere Familien, die über alles Mögliche mit mir reden wollen ...

26.10.2011

Nach Visiten im Krankenhaus treffen wir uns in der "guarderia", die Kinder von 8 Monaten bis 5 Jahren präsentieren Tänze und Lieder, zuletzt gibt es noch ein Fussballspiel, es geht unentschieden aus. Einer der Spieler kommt dann zu mir und möchte mich dann als "padrino de las poleras" haben, sozusagen als Sponsor. Ich kann da natürlich nicht nein sagen und Hna. Maria bekommt ein bisschen Geld für die "poleras". Danach gibt es Essen für die Kinder - sie geniessen die Suppe und die Hauptspeise, und reden nebenbei wie ein Buch. Sie überhäufen mich mit Fragen, ich sollte doch bei den "abuelas" vorbeischauen, sie wohnen nicht weit von der "guarderia", ob es in Österreich auch Kinder gebe und was man dort zu essen bekomme ... Am Nachmittag fahren wir nach Vallegrande, besuchen die Stätten von Che Guevara, besuchen Patienten vom letzten Jahr, Felix Mauel, den ich operiert hatte, seine Oma und einige Andere. Am Abend bin ich dann wieder todmüde, trotzdem treffen wir uns noch mit den Hermanas zu einem kurzen „Ratscher“.

27.10.2011

Um 6.00 Uhr stehe ich auf und treffe mich mit den hermanas um 7.30 Uhr zum Frühstück. Es geht dann mit dem Taxi weiter zu den Kindern und Jugendlichen unter der Brücke. Es ist wieder ein erschütterndes Erlebnis - sie empfangen mich aber mit grosser Freude. Inzwischen kennen sie mich ja, auch wenn sie durch die "clefa" ganz betäubt sind. Sie heissen mich "hermano", "amigo", "joven", "Papi", und haben keine Scheu mich in die Arme zu nehmen. Ich sehe ihre zerzausten und zerlausten Haare, es riecht (stinkt) zum Umfallen von Urin und anderen Exkrementien, dazwischen Hunde, verbrauchte "clefa"-Dosen, Abfall … dazu produktiver Husten, sicher auch Tuberkulose, Hepatitis und andere Infektionen .... Ich verspüre ein Jucken am ganzen Körper. Doch beim Anblick der armen Kinder, der schwangeren Mädchen, der Aussichtslosigkeit, der unglaublichen Schicksale, beim Anblick der mit "clefa" vollgepumpten und zum Teil geistig abwesenden Kinder, bleibt nur noch das Mitleid, und der Gedanke: „Das Leben ist nicht fair …“
Sie bedanken sich für den "pollo" von letztem Weihnachten, den ich ihnen über Hna. Josefine organisiert hatte, und wünschen sich wieder so ein Fest. Ich wundere mich, dass sie sich daran noch erinnern. Ich gehe mit Einigen von ihnen in ein nahe gelegenes Geschäft - sie wünschen sich Milch, Brot mit "mortadella" und Shampoo, einen für die Mädchen und einen für die Buben. Auch Arminda ist dabei – hochschwanger - sie sollte im Jänner gebären. Wir werden für sie für die Zeit der Geburt wieder ein "cuarto" organisieren, dann ist sie sowieso wieder weg ... Die Kinder werden in der Regel nach einem Jahr von der Polizei weggenommen und in ein "hogar" gebracht ... Das Essen schmeckt ihnen gut - es wird alles aufgegessen. Ich beobachte wieder ihre Behausungen in den Kanälen, und es wird mir fast schwindelig - ich fühle mich wieder so ohnmächtig und übel, nicht nur wegen des Gestankes ... in meinem Kopf entstehen neue Gedanken, Ideen ....
Nun muss ich gehen, habe um 20.00 Uhr einen Termin, bin schon im Verzug, weil ich so langsam schreibe und die Tastatur nicht alle Buchstaben anzeigt, zudem sind sie hier anders gereiht ...
Aber was habe ich hier unter anderem gelernt? "La hora Boliviana", Zeit ist relativ ...

28.10.2011

Nach dem Treffen bei den "cleferos" unter der Brücke treffe ich mich im Konvent,
da dort bereits Familien warten. Sie wollen mit mir reden. Sie erzählen mir ihre Geschichten und vielleicht auch ein bisschen mehr, und wollen natürlich eine Unterstützung. Zu Mittag hat Hna. Josefine ein Essen mit den "brillos" organisiert - es kommen acht "Gründungsmitglieder" ... Es freut mich ganz besonders, denn diese haben es geschafft. Alex hat das Abitur abgeschlossen und bereitet sich jetzt auf eine Militärschule vor, sein Bruder Xavier studiert bereits an der Uni Architektur. Richard ebenso, Yasmani arbeitet, Jorge arbeitet als Maurer, Mauricio im Kino, Fernando hat eine fixe Stelle als Mechaniker, Cristian arbeitet als Handlanger. Alle erzählen vom Beginn des Projektes, von ihrem Leben. Das Essen ist sehr gut, auch Hna. Josefine und Hna. Gundelinde sitzen bei uns. Alle haben natürlich dann noch unter vier Augen etwas zu erzählen ... ich unterstütze sie natürlich weiter. Diese Entwicklung hätte ich mir vor 10 Jahren nicht erahnt.

29.10.2011

Um 8.15 Uhr kommt mich Yolanda abholen, mit ihr die Direktorin von einem Hogar für Kinder, etwas entlegen von Cochabamba etwa drei Stunden entfernt. Ich hätte den Ort gerne besucht, doch das geht sich nicht aus. Nach 11 Jahren sind jetzt die Matratzen alle kaputt. Bei einem Kaffe erzählt sie mir ihre Arbeit - ich werde sie unterstützen. Dann geht es nach Champarancho, wo mich bereits einige Patienten erwarten - Einige vom letzten Jahr die mich besuchen kommen, die anderen sind neu. Alles mögliche an Beschwerden haben sie, einige kommen aber nur, um mit mir zu reden. Für die Anderen organisiere ich mit Mirta die weitere Diagnostik oder Behandlung.
Ca. 150 Kinder sind auch da, basteln und zeichnen - sie empfangen mich mit grosser Freude.
Zu Mittag müssen sie dann heim. In einem kurzen Gespräch mit den Verantwortlichen verspreche ich die Finanzierung eines gemeinsamen Mittagessens jeden Samstag für Alle. Die Freude ist gross. Am Montag habe ich bereits einen Kostenvoranschlag. Die "profesores" lade ich dann zu einem Essen ein, wo wir noch über alles Mögliche reden. Ich trinke nur eine "serveza"...

30.10.2011

Bereits um 8.00 Uhr treffen wir uns im Konvent, es kommen 9 "brillos", die von der ersten Stunde. Alle sind pünktlich, eigentlich auffällig pünktlich - es geht eben um einen Ausflug .... Wir planen einen Ausflug, die beiden Hnas. kommen auch mit. Ziel ist Villa Tunari, offensichtlich ein viel besuchtes Ausflugsziel, das mit einem Sammeltaxi anscheinend in ca 1 guten Stunde zu erreichen sei. Ich verlasse mich darauf. Erst später merke ich, dass noch niemand von ihnen dort war und allein die Hinfahrt gute 3 Stunden in Anspruch nehmen würde. In zwei Autos fahren wir los. Es beginnt zu regnen und es wird auf einer Höhe um die 4000m auch sehr kalt. Am Ziel angelangt regnet es in Strömen, der Park ist wegen des Wetters geschlossen, an ein Bad im See gar nicht zu denken … Alle ausser mir haben Hungermund wir setzen uns in ein Lokal, ein "restaurante". Alle essen "pescado", Fisch also - ich bekomme bereits beim Zusehen genug, doch alle geniessen den Fisch und wundern sich, warum ich nichts esse. Ich verweise auf meinen "estomago delicado", trinke allerdings ein Bier ... Danach gehts wieder nach Cochabamba zurück. Alle erzählen während der Fahrt ihre Geschichten - für sie ist der Tag unvergesslich ... Erst am Abend kommen wir zurück. Ich bin durchnässt und durchgefroren, da es auch in Cochabamba regnet und relativ kalt ist - wir liegen immerhin auf etwa 3000 m.

31.10.2011

Am Montag, 8.00 Uhr, treffe ich mich mit Alex, Xavier und Jhasmani beim Zahnarzt. Es gibt wieder ein paar Dinge zu richten, aber erstaunlich wenig. Die Zahnärztin, die mir immer einen guten Preis macht, rechnet den Kostenvoranschlag zusammen - die Termine werden bereits vergeben und am Ende kann Hna. Josefine alles "cancelar", also begleichen. Dann steht ein Termin beim Augenarzt an - Xavier ist stark kurzsichtig. Gemeinsam mit anderen drei suchen wir eine Brille für ihn aus. Bei jeder Brille lachen ihn alle aus, er lacht aber auch mit ... Dann warten noch einige im Konvent, Kranke, Mittellose, und ich weiss nicht mehr, wo und wem ich helfen sollte. Hna. Josefine wird die dringlichsten "Fälle" aussuchen. Um 11.00 Uhr holt mich Yolanda ab. Wir fahren nach Sacaba, um Gustavo zu besuchen. Gustavo kenne ich ebenfalls bereits seit Jahren, er hört jetzt dank der gesponserten Hörgeräte und kann mit seinen Freunden kommunizieren. Auch das Reden geht jetzt ein bisschen. Er ist ganz angetan vom Besuch und freut sich riesig. Ich habe lediglich ein paar "chupete" mit, Lutscher. Für das kommende Jahr kommt er in eine andere Schule, die von zuhause weiter weg ist - ich werde mich um den Transport kümmern. Wieder zurück in Cochabamba besichtigen wir einige "casas". Wir möchten für die "cleferos" eine Unterkunft, zunächst einmal pro Woche ein warmes Essen, die Möglichkeit zum Waschen, und für die Schwangeren eine Unterkunft zum Schlafen. Ein Haus ist dabei, welches sich sehr gut eignen würde, doch es ist bereits seit vormittag vergeben. Yolanda sucht weiter - ich bin mir sicher, dass sie bald etwas Passendes findet. Dann sind wir bei den "cleferos" - ich hatte ihnen nämlich die Leibchen von F.C. Barcelona versprochen. Ich habe sie am Markt besorgt, und alle sind überglücklich. Nur kurz sind sie zum Photographieren aus dem Kanal gestiegen, dann verschwinden sie alle wieder in den dunklen Kanal. Sie laden mich ein, dorthin zu kommen. Wir sitzen alle da, im Halbdunkel, auf den Fetzen am Boden, umgeben vom Geruch der "clefa" (= Schnüffeldroge) und Uringeruch, ich mittendrin als wäre ich einer von ihnen. Nur anfangs juckt es überall, es vergeht aber sofort, als jeder Einzelne beginnt, ein paar Worte des Dankes zu formulieren, derweil die anderen stumm zuhören und dann am Ende Beifall klatschen – dann ist der Nächste dran … Ich habe selten so etwas Beeindruckendes erlebt. Am Abend sollte ich noch das Haus von Jhasmani besuchen, Hna. Josefine kommt mit. Er hat mit seinem Ersparten ein kleines Zimmer, ein "cuarto" gebaut, es fehlen nur noch Fenster und Türen. Der Kostenvoranschlag beläuft sich auf etwa 2000 Bolivianos.
In dieser Gegend wohnen noch andere der "brillos", wir besuchen noch Richard, Alex und Xavier, und dann vor allem Cristian. Ich hatte ihm nicht geglaubt, als er mit einem Lacher sagte, er wohne in der Tür vor seinem Haus. Es ist wirklich wahr, und erschütternd. Er war nämlich ein paar Wochen nicht daheim in seinem "Haus", dann hat der neue Besitzer des Nachbarhauses eine grosse Mauer auch um sein Haus gebaut und abgeschlossen. Nun steht Cristian vor verschlossenen Türen. Seine paar Habseligkeiten hat er an die Tür gelehnt, ein zerlegtes Bettgestell, ein paar Töpfe und Fetzen, abgedeckt mit einer Plane .... Ich werde mit einem Rechtsanwalt von Santa Cruz versuchen, die Sache zu klären.
Am Abend bin ich bei Josefine und Sulman - wir essen gemeinsam, es gibt sogar ein Glas Weisswein (!), und reden noch über Vieles. Morgen frü h geht es nach Santa Cruz.

01.11.2011

Mein Flug nach Santa Cruz geht um 8.10 Uhr – ich muss eine Stunde früher dort sein.
Um 9.00 Uhr komme ich dort an. Zunächst treffe ich mich mit den Hnas. im Konvent, um weitere Punkte zu besprechen. Sie habe inzwischen den Kontakt mit der Schwester eines 14-jährigen Jugendlichen aufgenommen, der auf der Strasse wohnt, keine Eltern hat und auch sonst niemanden, der sich um ihn kümmert. Er wohnt vorübergehend bei seiner Schwester, die verheiratet ist und Familie hat. Dort bekommt er auch Arbeit. Im kommenden Jahr werden wir für ihn eine Schule organisieren. Da er bei seiner Schwester nur vorübergehend wohnen kann, suchen wir für ihn ein Zimmer in ihrer Nähe und übernehmen die Miete, so um die 300 pesos monatlich ... Auch weitere "Fälle" werden besprochen. Es werden 5 neue Familien unterstützt, die von den Hnas. genannt werden, da ich sie ja nicht kenne und nicht weiss, ob die "Investition" sinnvoll ist. Ich bin froh um die Informationen. Am Nachmittag kommen weitere Familien zu mir.

02.11.2011

Heute ist hier Feiertag. Alle haben frei und sind auf den Gräbern, also nicht am 1. Nov, sondern am 2. Nov. Ich fahre mit einem Taxi nach Montero - etwa eine Fahrtstunde von Santa Cruz entfernt - um mich dort mit Bekannten zu treffen - einer Familie, die ich schon länger kenne, sie haben mich eingeladen. Das Taxi, vom "Hotel" gerufen, bringt mich hin, es kostet 120 Bolivianos, was mir nicht so viel vorkommt. Der Fahrer fährt gut und halbwegs sicher - ich gebe ihm noch ein Trinkgeld. Erst beim Zurückfahren erfahre ich, dass es nur 40 Bolivianos kostet. Wieder einmal hineingelegt worden - wenn es auch keine grosse Summe ist, ärgert es mich trotzdem - sie versuchen es immer wieder, ohne mit der Wimper zu zucken.
Aber der Vormittag ist interessant. Ich schaue mir ein bisschen die Stadt an, werde mit dem Motorrad kutschiert, und bin dann zum Essen eingeladen. Die ganze Familie ist dabei: Eltern, Kinder, "primos" und Nachbarn, auch die 91 Jahre alte Grossmutter. Es gibt: "sopa", dann "pollo al picante" und dazu ein Bier ... Später geht es wieder zurück nach Santa Cruz. Um 15.00 Uhr treffe ich mich mit den Hnas., und wir besprechen die Abrechnung des Hauses für die Frauen. Sie machen alles sehr korrekt und gut dokumentiert - ich bekomme eine Abschrift. Auch einige andere Härtefälle werden besprochen, wo ich die Unterstützung zusage.
Am Abend brauche ich dann ein bisschen Zeit nur für mich alleine - es geht so viel in meinem Kopf herum, die Schicksale, das Elend der Menschen, die Aussichtslosigkeit ...
Ich muss wieder einmal tief durchatmen, bei einem drink im "Bar Irlandes"... Dann geht es wieder … Am Abend treffe ich mich mit zwei Paaren aus Kufstein, Renate kenne ich zufällig vom Studio, die anderen nicht. Wir kommen aber drauf, dass wir alle in der gleichen Strasse in Kufstein wohnen. Man muss sich also in Bolivien treffen, um das herauszufinden ...
Das "casa del Camba" ist geschlossen, daneben gibt es aber ein nettes Lokal, Fleisch ist das Besondere des Hauses - wir essen und unterhalten uns gut.

03.11.2011

Heute ist "Villa 1ero de Mayo" am Programm, das Hospital. Ich treffe mich mit der Direktorin des Krankenhauses und mit Doctor Menacho. Die Besprechungen der speziellen Patienten ist für mich immer sehr interessant. Wir gehen die Station durch, und ich bin wieder sehr betroffen über die eingeschränkten Möglichkeiten hier, trotzdem aber sehr beeindruckt. Man glaubt gar nicht, was ein Mensch alles aushält ... Aber das ist bei uns oft nicht anders … Ich besuche natürlich den "generador de osigeno", den Sauerstoffgenerator, letztes Jahr eingeweiht, über die Rotarier finanziert. Der Anästhesist sagt, das sei ein Segen! Dann geht es ins "colegio", dort ist nämlich eine Tanzvorstellung für die Angehörigen - es wird getanzt, was das Zeug hält, alle in speziellen typischen Kostümen, die alten Lautsprecher auf das Maximum eingestellt, die Bässe dröhnen, das Pfeiffen und Quietschen dazwischen stört niemanden. Erst spät fahre ich mit meinem Taxi heim und bin todmüde. Die Tage sind nun gezählt, ich habe noch ein paar Termine in den letzten zwei Tagen.

04.11.2011

Immer wieder melden sich Leute für eine "consulta medica" ... es geht den ganzen Vormittag so. Am Nachmittag habe ich eine Vorlesung an der Medizin-Uni, einer Privat-Uni - es geht um die medizinische Entwicklung in Europa, mit dem Augenmerk vor allem auf die minimal invasive Chirurgie. Man merkt natürlich, dass die Studenten einen besseren finanziellen Hintergrund haben als all die anderen, mit denen ich hier arbeite. Sonst könnten sie sich das Studium nicht leisten.
Für mich ist das wieder eine sehr interessante und neue Erfahrung. Später bin ich im Hospital. Es gibt einige Fälle mit Komplikationen, die ich mit Dr. Menacho bespreche. Auch das ist für mich interessant - ich muss mich immer wieder in die Situation hier hineinversetzen, um Tipps zu geben, denn die medizinischen Richtlinien von Europa kann man hier nicht eins zu eins übertragen. Ich bin immer wieder erstaunt, wie mich die Ärzte hier inzwischen akzeptieren und um Rat fragen, waren sie anfangs lange doch sehr skeptisch und vorsichtig. Heute ist zudem der 80igste Geburtstag von Hna. Gundelinde. Sie ist die Erste, mit der hier in Bolivien alles vor ca. 10 Jahren begonnen hat. Sie feiert in Comarapa - ich wollte ursprünglich auch noch einmal dorthin, doch es geht sich leider nicht mehr aus, das wären ca. 12 Stunden Fahrt, hin und retour. Ich war ja bereits letzte Woche dort - wir haben darauf angestossen und viele Erinnerungen aufgefrischt. Das ganze Dorf ist dort auf den Beinen - die Leute wissen, was Hna. Gundelinde geleistet hat.

06.11.2011

Es ist hier bereits Mitternacht, und morgen geht um 11.00 Uhr der Flug. Ich möchte nur noch kurz zusammenfassen: Die Projekte laufen alle gut, ich habe alle besucht. Sehr erfreulich ist der Bau für die Frauen in Santa Cruz. Ende des Jahres wird er bezugsfertig sein. Hna. Rosamaria leitet das Ganze sehr gut. Die verschiedenen Familien, die unterstützt werden leben etwas besser, einzelne Studenten kommen gut mit dem Studium voran. Für mich ist die "Arbeit" im Hospital in Santa Cruz immer wieder sehr interessant und oft abenteuerlich. Die Eingriffe in Comarapa sind erfolgreich verlaufen, es gab keine Infektionen. Die Kinder der "guarderia" dort bedanken sich jedes Mal mit Tänzen und Vorstellungen. Auch die dortigen Agrarprojekte können sich sehen lassen. Die Physiotherapie in der "albergue" wird gut genützt - heuer besonders für einen vorher vermeintlich aussichtslosen Fall. Hna. Josefine kümmert sich um die "cleferos". Wir werden demnächst ein Haus mieten (vorerst), wo sie zu Essen bekommen und sich waschen können. Auch der Besuch in Champarancho ist für mich immer ein Erlebnis - die dortigen "consultas" zum Teil interessant.
Für kommendes Jahr werde ich dort für jeden Samstag ein warmes Essen für die 150 Kinder finanzieren. Stolz bin ich auf die "brillos", 11 haben es geschafft! Ich habe die Besuche der Familien gezählt, es waren 53, zum Teil war ich bei ihnen daheim, Neue sind dazugekommen. Für das kommende Jahr gibt es wieder viel zu tun, einige Projekte habe ich im Kopf … ich muss die Ideen erst genau evaluieren. Nun bleibt mir nur noch, mich bei allen zu bedanken, die mich hier begleitet haben, und die mich unterstützen. Ich kann wieder behaupten, die Investition lohnt sich, sie hat Nachhaltigkeit! Ich gebe die Dankbarkeit der Menschen hier an Sie alle weiter.

Ich freue mich sehr auf daheim, auch wenn ich hier noch viel zu tun hätte, möchte wieder einmal ein paar Nudeln oder einen Fisch, auf jeden Fall lange Zeit keinen "pollo" mehr ...

Ihr B. Spechtenhauser