Reisebericht 2014

16.11.14

Draußen warten Sr. Rosa Maria und Sr. Martha sowie Jorge und Adolfo um mich abzuholen. Sie nehmen einen kleinen Wagen und bringen das Gepäck zum nahegelegenen Parkplatz, wo sie offensichtlich mit einem Auto hergekommen sind um auf mich zu warten. Ich bin froh, dass nicht mehr gekommen sind, weil es einfach ruhiger ist. Nach 25 Stunden Flug bin ich nicht so aufgelegt, viel zu reden. Doch es kommt anders, als gedacht. Sobald wir mit dem Gepäck am Parkplatz ankommen, kommt eine Gruppe von ca. 30 Jugendlichen mit Plakaten zum Vorschein und begrüßen mich auf’s Herzlichste. Das ist für mich doch eine große Überraschung. Sie sind alle mit einem kleinen Bus hergekommen. Der Vater einer Studentin welche wir betreuen, hat einen sogenannten „Micro“ und hat die Jugendlichen hergebracht. Wir passen alle gemeinsam in den Bus und fahren zum Kolping. Dort ist die Gruppe natürlich noch nicht müde. Wir trinken gemeinsam etwas und erzählen. Alle sind neugierig wie es geht, was ich mache und was es Neues gibt. Es gibt sogar ein kleines „Huari“ (kleines Bier), gut gekühlt - ich hab mich sehr darauf gefreut. Ich bringe dann die Koffer ins Zimmer, welches ich bereits aus den früheren Jahren kenne. Es ist jedoch alles sehr schmutzig, es riecht im Bad unglaublich nach Gülle und der Kasten ist voller Staub. Auch die Bettwäsche ist nicht so sauber, wie ich es von vorher gewohnt war. Ich bin ja nicht anspruchsvoll, jedoch hat mich das schon ein bisschen schockiert. Ich überlege, ob ich nicht irgendwo anders hingehe, wo ich mich besser ausruhen kann. Später treffe ich mich dann mit Dr. Jorge und Dr. Adolfo - die beiden ärztlichen Kollegen, die bereits heuer im Juni in Kufstein waren. Wir treffen uns etwas außerhalb des Zentrums und besprechen das Programm dieser Woche. Wir sitzen gemütlich bei ca. 35°C im Freien. Morgen Montag ist bereits eine Operation geplant. Wir werden sie in der neuen SILS-Technik (Single Incision Laparoscopic Surgery) durchführen. Ich bin ja gespannt ob das funktioniert … die Instrumente habe ich mit. Trotzdem sind die Voraussetzungen ganz anders, als wir sie von uns gewohnt sind. Sie bringen mich später ins Kolping zurück. Ich kann nicht schlafen. Durch die Zeitumstellung und die vielen Gedanken und Erlebnisse ist an Ruhe und Schlaf nicht zu denken. Ich gehe hinunter zur Rezeption und frage nach einem anderen Zimmer - es sei alles voll, was ich eigentlich nicht glauben kann. Es ist warm hier, so wie ich es mag. Doch ich kann nicht schlafen – zu viel geht mir durch den Kopf, nicht nur wegen des schmutzigen Zimmers oder des üblen Geruches ... Ich glaube sogar, ich gewöhne mich langsam daran und schlafe irgendwann ein ...

17.11.2014

Um 4.00 Uhr bin ich wach, fühl mich gar nicht müde und stehe auf, um auszupacken … all die Geschenke, die Instrumente, meine Habseligkeiten (sind nicht viele) hatten alle im Handgepäck Platz. Es ist schon längst hell und warm. Ich trinke um 7.00 Uhr einen Kaffee - muss anschließend ins Zentrum um Einiges zu erledigen. Um 10.00 Uhr holt mich Dr. Jorge ab … besser gesagt, er sollte mich abholen. Er meldet sich dann mit ein wenig Verspätung, dass er nicht wegkomme, Dr. Adolfo sei bereits unterwegs ... "Estoy llegando, faltan unos dos cuadras". Er kommt um kurz nach 11.00 Uhr. Ich habe die Instrumente bei mir - die sollten noch sterilisiert werden, aber das wird sich vor der geplanten OP auch noch ausgehen. Dort angekommen, ist der Patient bereits im OP. Jorge und Adolfo helfen lagern - ganz primitiv, mit allen möglichen Hilfsmitteln. Der Patient schläft - wir waschen uns. Dr. Adolfo Zapata führt das Messer. Es soll immerhin die erste OP mit dieser Technik (SILS) werden. Es ist schwierig, doch wir beenden erfolgreich den Eingriff … alle strahlen. Dr. Zapata und Dr. Panozo waren ja im Juli im KH Kufstein, um diese Technik zu erlernen. Die nächsten Patienten sind bereits in der Warteschlange.
Am Abend hat mich Hna. Rosa Maria voll eingeteilt mit Besuchen von Familien und der Organisation des Programmes, sodass ich bald doch sehr müde werde. Ich ziehe mich zurück, um Luft zu holen. Ich habe starke Kopfschmerzen - nach drei Tabletten geht es so halbwegs ...

18.11.2014

Vormittags ist wieder eine OP angesagt sowie anschließend Visiten. Dann bin ich bei Hna. Rosa Maria zu Mittag. Es gibt Hühnerfleisch und allerlei Beilagen.
Danach fahren wir mit Daniel und seiner Frau Kathy zu den Familien. Zuerst sind wir bei Reyna. Dort haben wir ein "cuarto" (ein kleines einfaches Haus) gebaut. Reyna ist schwerst behindert. Es sind – wie so oft - unglaublich viele Kinder da. Das WC ist eine kleine Freilufthütte, eine Dusche daneben unter einem Mangobaum, spärlich abgedeckt von Brettern. Ich glaube, wir sollten auch da ein menschenwürdigeres "Bad/WC" bauen ...
Anschließend geht es zu Herrn Rioz. Auch dort haben wir bereits ein WC errichtet - es schaut gar nicht so schlecht aus … sogar das Licht funktioniert. Herausgekommen ist neben allerlei Kram eine Gruppe von Enten … sie haben ja keine Grenzen zu "Küche" oder Schlafraum ... Dementsprechend schaut es auch aus, von den Gerüchen ganz zu schweigen ...
Chino, ein älterer Herr ist der Großvater von Elisa. Elisa geht in die Oberschule und wird von uns unterstützt. Auch hier haben wir bereits ein Bad gebaut.
Edson ist der Nächste: er studiert Wirtschaft, hatte nicht einmal einen Tisch daheim und auch kein Zimmer zum Lernen. Wir haben für ihn und seinen Bruder ein kleines Zimmer gebaut.
Elisabeth, die Älteste von 7 Geschwistern, kümmert sich um alle. Die Mutter ist vor kurzem gestorben, Vater gibt es keinen. Wir bekommen einen „refresco“, der Boden ist aus Lehm, die Wände nicht verputzt ...
Ruber ist der Älteste einer 7-köpfigen Familie. Die Mutter ist im Juli 35-jährig gestorben, der Vater trinkt und nimmt auch sonst noch was, die Kleinste ist 5 ...
Dann besuchen wir Riccardo, 8 Jahre. Er sitzt im Rollstuhl, kann sich da kaum halten, ist bleich und schwitzt. Er hat von Geburt eine Lähmung der Beine, wurde einmal am Rückenmark operiert und hat am Gesäß eine große tiefe Wunde. Die Hütte hat ihnen eine Lehrerin vom colegio geliehen … Sein Gesicht ist aufgedunsen, die Beine voller Wasser, der Puls um 150/min. Ich glaube, er wird es nicht mehr schaffen ... Ich rufe Dr. Zapata und Dr. Panozo an - sie werden helfen, wenn es nicht bereits zu spät ist ... Darüber später.
Guido ist auch im Rollstuhl, schwerst behindert, die Mutter pflegt ihn, kann nicht die Windeln bezahlen, die er braucht. Wenn sie keine mehr hat, nimmt sie einen alten Stoff ... 200 Bs pro Monat kostet das, das sind ca. 10 Euro ...
Inzwischen sind Kirsten und Thomas aus Deutschland angekommen, Adolfo hat sie vom Flughafen abgeholt. Wir treffen uns im Zentrum und sind dann zum Abendessen in einem Lokal eingeladen. Es gibt pato – Ente - passt ja gut, nachträglich zur Martinigans ...

19.11.2014

Ich bin bereits morgens im KH. Die Patientin – 32 Jahre - schläft schon, doch dann gibt es Probleme mit dem Herzen … Rhythmusstörungen. Wegen der Gefahr einer Komplikation setzen wir die Patientin ab, um sie genau kardiologisch abzuklären.
Chagas ist hier sehr häufig ...
Weiter gehts mit dem nächsten Punkt. Alles verläuft sehr gemütlich und langsam, das Halbe fehlt, Improvisation ist gefragt ... Immer wieder denke ich an den Luxus den wir haben und weiß einmal mehr das alles daheim zu schätzen! Um 15.00 Uhr werden wir abgeholt und fahren zum colegio. Ein Empfang ist vorbereitet. Kirsten und Thomas, Jorge und Adolfo (die Ärzte) kommen auch mit. Wir sind zu 7. in einem coche. Alle Klassen führen Tänze auf, Musik erschallt mit voller Inbrunst ... es dauert unglaublich lange, doch da muss ich durch … Kirsten und Thomas auch. Am Ende wird noch gemeinsam getanzt. Später gibt es majadito, ein typisches Reisgericht mit Fleisch, Spiegelei und gebratenen Bananen. 160 Leute sind da - alle haben in unserem comedor Platz ... Ein Teil setzt sich außerhalb auf den Boden, es ist ja warm hier ...
Es wird spät. Wir fahren in überfüllten Autos zurück. Jhonny, ein Jugendlicher mit Beinprothesen an beiden Beinen (seit der achten Geburtswoche) ist auch dabei. Ich bringe ihn mit meinem Taxi zu seinem Haus … eine halbe Ewigkeit auf fast unbefahrbaren Wegen. Dann fahre ich noch zu Dr. Jorge und seiner Familie. Seine Frau hat etwas hergerichtet … Dr. Adolfo , Kirsten und Thomas sind auch da … Um Mitternacht bringen sie uns – nach der Besprechung des nächsten Tages – heim.

20.11.2014

Eine OP fällt wieder aus - die Patientin hat es sich im letzten Moment anders überlegt.
Dafür ist Zeit für andere OP. Dr. Menacho berichtet über spezielle Fälle … für mich immer wieder interessant.
Dann fahren wir, Dr. Jorge und Dr. Zapata zu Riccardo, 8 Jahre, das kranke Kind, wie berichtet.
Es ist gar nicht leicht dorthin zu finden, doch auf Umwegen und mittels celular finden wir hin.
Riccardo ist gekämmt - seine Mutter wusste ja von unserem Besuch. Sein Gesicht ist geschwollen, seine Beine dreifach so dick wie seine Arme, der Bauch mit Wasser gefüllt, er hat Fieber, ist schwach, blass und seine sonst dunkle Hautfarbe jetzt so wie meine. Er kann seinen Kopf kaum halten, sitzt nach der angeborenen Lähmung wegen einer offenen Wirbelsäule im Rollstuhl. Weil sie kein Geld hatten ist die Operation viel zu spät erfolgt.
Durch die Unterernährung und die Lähmung hat er eine große tiefe Wunde am Gesäß, Wasser und Stuhl gehen unkontrolliert ab, die Windel ist bereits mehrfach gebraucht ... Jorge und Adolfo reagieren sofort. Wir müssen das Kind sofort ins Krankenhaus bringen, wenn es überhaupt noch eine Chance hat. Die Mutter kommt mit, die Nachbarn schauen inzwischen auf die Geschwister. Riccardo verdrückt ein paar Tränen. Wie ich ihn ins Auto trage fängt die kleine Schwester mit 2 Jahren fürchterlich zum Weinen an. Es ist fast unerträglich … sie kann es nicht verstehen und meint, dass wir ihr ihren Bruder wegnehmen. Im KH, Villa Primera de Mayo, ist ein Pädiater. Nach den Formalitäten, nämlich dass ich die Kosten übernehme, werden ein paar Befunde abgenommen. Riccardo bekommt eine Infusion - seine Blutwerte sind mit dem Leben eigentlich nicht vereinbar. Er riecht selbst den stechenden Gestank seiner Wunde und Exkremente - die Windel ist ja nicht dicht und er wünscht, dass man diese wechselt. Von einer Mutter daneben bekomme ich eine Windel - ich gebe ihr 10 Bolivianos ... Sie wird damit ein halbes Monat auskommen ...
dann kommt Riccardo auf die Station. Ich hoffe, dass er es schafft. Morgen komme ich wieder.
Um 13.00 Uhr treffe ich mich mit Dr. Jorge und ein paar Gehilfen. Wir müssen für die obligatorische "Pizza" im colegio einkaufen. Jorge bringt uns zu einem Supermarkt. Dort gibt es, was wir brauchen. Mit dem Eingekauften wollen wir losfahren, da geht sein Auto nicht mehr. Seine Frau ist mit zwei ihrer Töchter da und bringt uns ins colegio. Jorge muss einen Mechaniker rufen und kommt dann nach.
Dort angekommen sind bereits viele da … sie warten alle auf die Pizza. Ich mache aus 6 Kilo Mehl den Teig. Bei der Wärme (34°C) geht der Teig schnell auf. Inzwischen schneiden die Köchinnen und freiwilligen Helfer den Käse (Muzzarella) und die anderen Zutaten. Die Pizza wird belegt … alle helfen mit. Es kommt alles drauf was da ist, von Wurst bis Mais, Tomaten, Schinken, todo mezclado … Alle essen unglaublich viel und am Ende kommen noch Einige dazu bis die Pizza alle ist. Ich mach dann halt noch etwas mit dem Rest im Rohr. Aber auch da bleibt nichts übrig. Es sind Viele noch hungrig … von wegen "wunderbare Brotvermehrung" … es ist nichts mehr da. Ca. 60 Mitesser habe ich gezählt, die Dunkelziffer ist aber hoch ...
Nebenbei und nachher besprechen wir noch das weitere Programm. Sr. Rosa Maria hat ja am WE einen Ausflug mit der Gruppe der Studenten/innen in die Chiquitania geplant. Zunächst war die Abfahrt am Sa um 5.00 Uhr geplant. Jetzt heißt es heute am Freitag in der Nacht um 23.00 Uhr. 45 Mitfahrer haben sich angemeldet. Ein Bus (Flota) ist organisiert … im Bus sollten wir schlafen, zurück kommen wir am Sonntag in der Nacht. Die erste Fahrt dauert ca 8 Stunden, von Sa auf So übernachten wir im Bus ... aber die Chiquitania ist so sehenswert heißt es. Ich suche verzweifelt noch nach einer Ausrede um daheim bleiben zu können und nur auszuruhen. Es gibt dort warme Quellen, das soll für alles Mögliche gut sein, für Leib und für Seele ... Wenn sie wüssten, welch große Lust ich dazu habe ... Johnny (ohne Beine, bzw. Beinprothesen beidseitig) sagt mir dann ganz vorsichtig, dass das bei ihm ja nicht gehen werde. Alle würden nur auf seinen verstümmelten Körper schauen, zudem habe er keine Schwimmhose ... Ich sage ihm dann, dass ich da auch nicht ins Wasser gehe, dann sind wir schon zwei ... Man muss aber dazu sagen, dass Viele nichts von seinem Schicksal wissen - er geht ohne Krücken und man merkt es ihm auf den ersten Blick gar nicht an ...
Wir fahren dann alle heim - alle wohnen in den verschiedensten Richtungen. Ich breche fast zusammen vor lauter Müdigkeit, aber vor allem vor lauter Gedanken im Kopf von dem Erlebten. Die Erlebnisse kreisen in meinem Kopf und können nicht geordnet werden. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb, schlafe ich um kurz nach 22.00 Uhr ein, und das ohne Schlaftablette ... Morgen werde ich von Jorge um 7.00 Uhr abgeholt, der OP ruft …

21.11.2014

Jorge kommt ganz pünktlich. Zwei Familien stehen schon vor dem Haus und wollen mit mir reden, ich muss aber weg ...
Der Patient ist bereits im OP, der Eingriff ist unter den Voraussetzungen hier schwierig, bei uns wäre das alles ein Klacks … Es geht aber alles gut. Ich habe Kopfschmerzen …
Anschließend gehe ich mit Dr. Jorge zu Riccardo, der ja gestern auf der Pädiatrie aufgenommen wurde. Er schaut bereits etwas besser aus. Die Ödeme sind weniger, er ist nach einer Bluttransfusion nicht mehr so blass, sein Hämoglobin wäre bei 2,9 mg% … mit dem Leben eigentlich nicht vereinbar … er hat es noch nicht geschafft. Dr. Jorge kümmert sich um ihn wenn ich nicht mehr da bin. Am Ende werde ich dann die Rechnung begleichen - vielleicht gibt es ja wieder einen Spender dafür. Ich bin mir sicher!
Nun sitze ich seit vier Stunden hier in der Bar Irlandes bei einer Cola und tippe meine Berichte von den letzten Tagen. Vorher war es etwas schwierig mit dem Internetzugang. Gerlinde und Peter kontrollieren den Text, Patrick wird dann alles ins Netz stellen.
Zudem habe ich heute bei einem Kongress hier Vorträge … auch da musste ich noch etwas vorbereiten damit ja alles klappt.
Ich bin gespannt … in zwei Stunden geht es los. Ich muß noch packen. Um 23.00 Uhr geht es ja los in die Chiquitania … da bin ich noch viel mehr gespannt. Ich möchte nur einfach da bleiben und ausruhen. Das darf ich aber sonst hier niemandem sagen, dass wäre unhöflich ...
Aber eines weiß ich: ich werde sicher nicht in der Flota (Bus) schlafen, ich schau da um ein Zimmer … die Fahrt ist schon Abenteuer genug für mein Kreuz. Ich fahre heim, ziehe mich um und richte alles für den Vortrag. Dr. Jorge ruft mich an, dass er es nicht mehr schaffe mich abzuholen und hinzubringen. Ich hatte es eh geahnt, es ist aber kein Problem.
Ich nehme ein Taxi und fahre in die Villa Primero de Mayo, wo die Vorträge stattfinden. Die Technik funktioniert erstaunlich gut … ich hatte da meine Bedenken. Es sollte so um 19.00 Uhr anfangen, doch wir sind hier in Bolivien und da ist es nicht so genau mit der Pünktlichkeit.
Der Saal füllt sich bis auf den letzten Platz und mit einer Verspätung von fast einer Stunde kann ich beginnen. Ich bringe zuerst ein paar Bilder von mir daheim als Kind, dann von meinem jetzigen Arbeitsplatz und von Kufstein … alle sind begeistert. Anschließend folgt der eigentliche Vortrag über die Entwicklung der "Knopflochchirurgie" mit besonderem Augenmerk auf die SILS, das heißt die Chirurgie mit einem einzigen kleinen Zugang und wie sich alles in Kufstein entwickelt hat. Anschließend zeige ich noch zu jedem Eingriff ein Video. Zuletzt kommen noch viele Fragen. Inzwischen sind auch Dr. Jorge und Adolfo mit Kirsten und Thomas gekommen.
Ich bekomme noch eine "placa". Dann muss ich heim, da ja bald die flota Richtung der Chiquitania abgeht.
Der Bus ist bereits voll. Alle sind gekommen und freuen sich riesig auf den Ausflug. Ich bin jetzt froh, dass ich doch noch mitfahre. Sie wären alle enttäuscht gewesen. Die Sessel sind ja gar nicht so unbequem wie ich befürchtet hatte. Das hintere Dachfenster ist nur provisorisch mit Plastik abgeschlossen - es macht einen unheimlichen Lärm während der Fahrt. Wie ich das liebe …
An Schlaf ist aber auch sonst noch nicht zu denken … es wird musiziert, begleitet mit einer Gitarre die sie weiterreichen. Es ist so vielstimmig wie selten und so falsch, dass es in den Ohren weh tut. Doch umso größer ist die Inbrunst, die Hingabe und die Lautstärke ...
So gegen 3.00 Uhr werden auch die Härtesten ein bisschen müde und es gelingt mir, ein bisschen zu schlafen.

22.11.2014

Nach einer kurzen Pause geht es weiter und wir erreichen nach ca. 8 Stunden Fahrt Robore, eine Gegend mit etwa 30.000 Einwohnern, sagt man mir ...
Hna. Rosa Maria informiert sich über eine Schlafmöglichkeit. Es gibt die Möglichkeit, in einem Collection zu übernachten, da müsste man die Gruppe in zwei Klassenzimmern aufteilen. Oder wir suchen uns ein "Hotel". Das zweite ist mir lieber. Wir finden auch eines, wo wir alle Platz haben. Es erfolgt die Zuteilung, die Schwestern bekommen ein kleines Zimmer, die Mädchen sind auch separat untergebracht und die Buben auch zu viert. Ich bekomme ein Einzelzimmer. Dann kommt Jhonny zu mir und sagt, dass er Angst habe, mit den anderen im Zimmer zu sein, weil sie ihn ohne die Prothesen sehen würden … er schäme sich. Ich sage ihm, er bekomme auch ein kleines Zimmer für sich allein, oder er kann auch bei mir im Zimmer schlafen, was er bevorzugt, da er Hilfe brauche. Wir fahren anschließend mit dem Bus ein Stück weiter und gehen eine halbe Stunde zu Fuß. Johnny kann nicht so weit gehen - er wird abwechselnd von einigen getragen. Wir gehen durch den Urwald und kommen zu einem kleinen See … eigentlich mehr eine Lacke unter einem Wasserfall. Das Wasser ist warm, seicht und ungefährlich. Alle springen hinein, z. T. mit der Kleidung, ich auch ...
Später geht es wieder zurück und wir machen an den warmen Quellen Halt. Es beginnt zu regnen, aber das Wasser hat eine Temperatur von ca. 35 Grad. Alle springen hinein, ich bleibe bei Jhonny. Er hätte Lust hineinzugehen, doch große Hemmungen. Alle würden ihn anschauen, auf seine amputierten Beine starren, und überhaupt, er habe ja keine Badehose. Wir überreden ihn dann, nachdem einer von der Gruppe eine zweite Badehose hat, dass er hineingeht. Wir helfen ihm, die Prothesen abzuschnallen und sich für das Bad im heißen Wasser klar zu machen. Es kostet ihn einige Überwindung. Im seichten Wasser steckt er dann seine Beinstümpfe in den Sand – somit kann man seine Verstümmelung nicht mehr sehen. Für einen Moment hat er das Gefühl, wieder Beine zu haben. Er strahlt wie ich es selten gesehen habe. Er will gar nicht mehr aus dem Wasser raus, obwohl es regnet - ich bin bis auf die Haut durchnässt. Es ist heraußen auch ein bisschen kühl. Nach einiger Zeit lässt er sich wieder aus dem Wasser hieven, die ganze Prozedur mit dem Anschnallen der Beinprothesen folgt … das dauert … ich bin durchnässt vom Regen ...
Wir fahren gemeinsam mit der flota zurück zum "Hotel" und alle – ausser ich - essen zu Mittag. Ich merke meinen Darm, der wieder verrückt spielt ...
Die Zeit vergeht im Nu. Alle sind glücklich … für Viele ist es das erste Mal, dass sie aus ihren vier Wänden hinauskommen. Mir geht es inzwischen gar nicht mehr so gut, obwohl ich mit dem Essen immer sehr aufpasse. Ich beschließe, am kommenden Morgen mit einem "coche" heimzufahren … die anderen werden erst in der Nacht zurückfahren.

23.11.2014

Die 400 km schaffen wir in knappe 5 Stunden - mit der flota braucht man 7 bis 8 Stunden. Daheim merke ich die Müdigkeit … ich schlafe im Bett sofort ein bis mich mein Intestinum weckt ... Erst gegen Abend treffe ich mich mit Kirsten und Thomas auf ein Gespräch, dann schlafe ich die ganze Nacht durch.

24.11.2014

Ich wache mit Kopfschmerzen auf, nehme etwas ein, trinke Tee. Essen kann ich nichts … mein Bauch ist noch nicht in Ordnung. Ich habe mir für heute nichts Besonderes vorgenommen, da ich morgen nach Comarapa fahre. Gegen Abend werde ich mich noch mit Dr. Jorge und Dr. Adolfo sowie ihren Familien sowie Kirsten und Thomas treffen, da letztere morgen zurückfliegen. Jetzt sitze ich wieder in der Bar Irlandes, tippe die Eindrücke und Erlebnisse der letzte Tage. Es ist warm, ca. 30 Grad, ein bisschen windig. Ich genieße es, allein zu sein … Am Abend treffe ich mich noch mit Jorge und Adolfo sowie Kirsten und Thomas … wir sind bei Adolfo daheim eingeladen. Es ist ganz gemütlich dort, doch es wird nicht spät, da Kirsten und Thomas morgen zurückfliegen und ich nach Comarapa muß. Um 22.00 Uhr bringen sie uns heim. Ich bin so müde, dass ich nicht mehr fähig bin, für morgen zusammen zu packen. Ich schlafe sofort ein … es ist ruhig und etwas kühler als sonst … das Wetter soll umschlagen.

25.11.2014

Ich wache um 6.00 Uhr auf, sodass ich noch genügend Zeit habe, all mein Gepäck zu sortieren. Ich lasse Einiges hier, damit ich nicht zuviel zum Schleppen habe. Es kommen noch zwei Familien für ein Gespräch, "quieken halber conmigo". Wir haben ausgemacht, um 9.00 Uhr wegzufahren, doch Daniel kommt nicht. Ich bin ja auch gar nicht mehr gewohnt, dass ich pünktlich abgeholt werde, und ein bisschen habe ich mich auch bereits angepasst .... Daniel kommt mit einer Stunde Verspätung mit seiner Kathy. Es ist eine Réunion dazwischengekommen, etwas Dringendes ....
Daniel hat einen Suzuki, gut gefedert. Das ist bei diesen Strassenverhältnissen und für mein Kreuz unglaublich positiv. Wir machen – wie jedes Jahr - in Samaipata Halt und kehren dort ein, um zu Mittag zu essen. Inzwischen geht es meinem Darm bereits besser. Es schmeckt mir gut … alle essen eine "milanesa con aroz y Papa frita". Anschließend fahren wir gemütlich weiter. Kathy will unbedingt, dass wir noch bei ihr zuhause zukehren, was wir dann auch machen. Wir werden dort wieder bewirtet wie die Kaiser … alles sehr einfach, aber mit "carino". Der Boden ist aus Lehm, die Hütte einfach, die Leute unglaublich gastfreundlich. Ich dränge zum Weiterfahren, da man uns ja schon seit einigen Stunden in Comarapa erwartet. Dort kommen wir mit einer Verspätung von 5 Stunden an … Wir besprechen noch den weiteren Plan. Morgen gibt es einige "cirugias", nachmittags einige "consultas", am Donnerstag geht es nach Saipina und am Freitag muss ich weiter nach Cochabamba, da ich dort am Samstag bereits Programm habe. Ich leg mich um 21.00 Uhr hin und schlafe 9 Stunden durch ...

26.11.2014

Um 9.00 Uhr "en punto" beginnen wir mit der ersten Operation: Krampfadern, dann ein Bruch, anschließend ein Kaiserschnitt und dann "consultas". Viele sind gekommen, um sich operieren zu lassen, doch ich schaffe das heuer zeitlich nicht. Es sind ja meist auch keine dringlichen Operationen. Trotzdem sind sie enttäüscht. Am Nachmittag bin ich mit Hna Maria in der Guarderia. Dort platzt es aus allen Nähten. Es ist geplant, auf das bestehende Gebäude einen Stock draufzubauen. Anfänglich für 60 Kinder geplant, muss das Haus jetzt für 120 herhalten. Der Plan ist bereits vorhanden und ich glaube, wir werden die Kosten übernehmen. Auch bei einigen Familien herrscht große Not, auch da werden wir unterstützen, zudem die Kosten für einige Nahrungsmittel in der Guarderia übernehmen. Diese Gardenia hier war der erste Bau, den ich mit Hilfe der Rotarier in Kufstein finanziert habe. Ich kann mich wieder davon überzeugen, dass es gut funktioniert, dass es Sinn macht, dass diese Investition nachhaltig ist. Daneben ist die Altenherberge, auch da haben wir mitfinanziert. Hna. Sulma hat die Leitung über. Morgen ist noch eine Operation bei einem Kind am Plan, dann werde ich nach Saipina fahren, um die Zahnarztpraxis zu besuchen, die wir letztes Jahr finanziert haben. Sie soll morgen in meiner Anwesenheit offiziell eingeweiht werden. Ich hoffe es dauert nicht zu lange ... Nun warte ich noch auf die Familie Mendres. Dona Cäcilia kommt um 20.30 Uhr … für diese Familie haben wir ein kleines Haus gebaut.